ESG in Schwellenländern: Afrika

Die Finanzierung der Nachhaltigkeitswende in Afrika: Wege zu nachhaltigem Wohlstand

Für Schwellenländer, die den nächsten Schritt in ihrer wirtschaftlichen und industriellen Entwicklung gehen möchten, bedeutet Nachhaltigkeit mehr als nur die reine Reduzierung von CO2-Emissionen. Kristina Holzhäuser, Regional Head Financial Institutions Afrika & Naher Osten bei der Commerzbank, erläutert, welche Herausforderungen und Chancen sich für afrikanische Volkswirtschaften angesichts sich ändernder globaler Prioritäten ergeben.

Auf der ganzen Welt wird verstärkt auf Nachhaltigkeit geachtet. Das zwingt viele Schwellenländer, ihre bisherigen Wachstumsstrategien zu überdenken. Wie können die afrikanischen Nationen ihre bestehenden Wirtschaftsziele mit den sich verändernden ESG-Prioritäten in Einklang bringen?

Kristina Holzhäuser: Der weltweit verstärkte Fokus auf Nachhaltigkeit kommt für Schwellenländer zweifelsohne zu einer kritischen Zeit. Viele aufstrebende Volkswirtschaften – darunter auch afrikanische Länder – haben bislang eine wirtschaftliche Entwicklungsstrategie verfolgt, die eng mit dem Export von Rohstoffen wie Agrarprodukten, Rohöl und Mineralien verbunden war. In ihrem Streben nach gesellschaftlichem Fortschritt und wirtschaftlichem Wachstum steigt für viele afrikanische Länder der Druck, ihr Entwicklungsmodell zu justieren und dabei ESG-Prinzipien zu berücksichtigen.

Der Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft bietet für afrikanische Länder jedoch auch Chancen. Sie können an den konkurrierenden Entwicklungsländern aus anderen Teilen der Erde vorbeiziehen, die bereits viel Zeit und Ressourcen in einen auf fossile Brennstoffe ausgerichteten – und möglicherweise überholten – Wachstumspfad investiert haben. Die afrikanischen Länder verfügen über ein enormes ungenutztes Potenzial für die Entwicklung nachhaltiger Lieferketten, ohne in eine nicht nachhaltige bestehende Infrastruktur investieren zu müssen.

Wie könnte dies in der Praxis aussehen? Afrikanische Volkswirtschaften könnten beispielsweise ihr verarbeitendes Gewerbe auf erneuerbare Energien ausrichten und damit ihre Attraktivität als internationaler Investitionsstandort steigern. So strebt Südafrika im Rahmen seines Integrated Resource Plan eine groß angelegte Energiewende an, die eine Verlagerung von Kohle hin zu erneuerbaren Energien vorsieht. 1 Afrikanische Unternehmen könnten auch die Gelegenheit ergreifen, eine Führungsrolle in der weltweiten Kreislaufwirtschaft zu übernehmen, bei der es darum geht, den Wert von Ressourcen und Produkten so lange wie möglich zu erhalten.

Inwieweit sind die afrikanischen Märkte von ESG-Vorschriften und -Standards betroffen, die in anderen Teilen der Welt festgelegt werden?

KH: Der Einfluss ist hier zweifellos erheblich. Die globalen Lieferketten werden immer länger und sind immer stärker miteinander verflochten. Daher können ESG-Verpflichtungen, die in einem Teil der Welt eingegangen werden, tiefgreifende Auswirkungen auf die nachgelagerten Glieder der Lieferkette haben. Immer mehr Unternehmen bewerten die Nachhaltigkeit ihrer Zulieferer, und die Folgen sind offensichtlich. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Lieferanten unabhängig von ihrem Standort ihre Strategien an die sich ändernden ökologischen Prioritäten anpassen.

Vor dem Hintergrund ihrer globalen Auswirkungen ist es wichtig, dass ESG-Vorschriften, die in Industrienationen festgelegt werden, auch die unterschiedlichen Bedürfnisse anderer Länder berücksichtigen. Ein Beispiel: In Industrieländern werden tendenziell Umweltfragen priorisiert, obwohl in vielen afrikanischen Ländern Sozial- und Governance-Belange drängender sind.

Der afrikanische Kontinent verfügt über immense Ressourcen, die sich zur Erzeugung sauberer Energie nutzen lassen. Welche Fortschritte wurden bisher bei der Erzeugung erneuerbarer Energien in Afrika erzielt und gibt es Länder, die hier eine Vorreiterrolle einnehmen?

KH: Der Kontinent verfügt zweifellos über ein enormes Potenzial zur Entwicklung erneuerbarer Energien und jedes Land hat dabei sein eigenes und einzigartiges Profil, das ihm einen Wettbewerbsvorteil verschafft.

So hat sich in Nordafrika Marokko zu einem wichtigen Markt für Solarenergie entwickelt. Dort befindet sich die größte Solarfarm der Welt und das Land deckt bereits ein Drittel seines Strombedarfs aus erneuerbaren Energien. 2 Außerdem ist Marokko dank der starken Atlantik-Seewinde von Natur aus gut für die Erzeugung von Windenergie geeignet.

Angesichts dieses Potenzials im Bereich der erneuerbaren Energien überrascht es kaum, dass Marokko auch als künftiges Zentrum für die Erzeugung von grünem Wasserstoff gilt und dass internationale Unternehmen erhebliche Investitionen zur Entwicklung von Anlagen für grünen Wasserstoff in Marokko tätigen. 3 Das deutsch-marokkanische Wasserstoffabkommen wurde im Jahr 2020 unterzeichnet. Es sieht deutsche Investitionen von 300 Mio. Euro in ein Joint Venture vor, das Wasserstoff aus Marokko beziehen wird. Auch die EU hat im Oktober 2022 ein Abkommen über eine Grüne Partnerschaft mit Marokko unterzeichnet.

Marokko ist jedoch nicht der einzige Vorreiter in Nordafrika. Ägyptens führende Rolle in diesem Bereich rückte durch die Ausrichtung des Weltklimagipfels im Jahr 2022 ins Rampenlicht. Auch der ägyptische Bankensektor hat sich verpflichtet, den CO2-Fußabdruck seiner Portfolios zu verringern, und die Banken beziehen zunehmend ESG-Risikoanalysen in ihre Kreditentscheidungen ein.

Derzeit verzeichnet der Norden Afrikas – nicht zuletzt aufgrund der günstigen Witterungsbedingungen – die größten Fortschritte auf dem afrikanischen Kontinent. Das gibt Anlass zur Hoffnung, dass diese Fortschritte als Impulsgeber für den gesamten Kontinent wirken können. Allerdings beschränkt sich der Fortschritt keineswegs nur auf diese Region. Äthiopien hat sich die Kraft des Nils zunutze gemacht und ähnlich wie Angola mehrere Staudämme zur Wasserkrafterzeugung gebaut. Tatsächlich ist der 2022 eröffnete Grand Ethiopian Renaissance Dam heute das größte Wasserkraft-Infrastrukturprojekt Afrikas.

In der Diskussion um erneuerbare Energien in Afrika spielt grüner Wasserstoff eine immer wichtigere Rolle. Die African Green Hydrogen Alliance, der Ägypten, Kenia, Mauretanien, Marokko, Namibia und Südafrika angehören und der sich noch weitere Mitglieder anschließen werden, wurde im Mai 2022 zur Förderung dieser erneuerbaren Energiequelle gegründet. 4

Das Bündnis will die Entwicklung der Produktion von grünem Wasserstoff auf dem gesamten Kontinent vorantreiben, und einige Projekte sind bereits im Gange. In Namibia hat das Entwicklungsunternehmen HYPHEN Hydrogen Energy nach einer Investition von 10 Mrd. US-Dollar das 3-GW-Projekt Tsau Khaeb vorgestellt, mit dem 5-6 Mio. Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr eingespart werden sollen. 5 6 Mauretanien will bis spätestens 2035 jährlich 12,5 Mio. Tonnen grünen Wasserstoff produzieren und hat ein Projekt im Umfang von 34 Mrd. US-Dollar angekündigt, mit dem 8 Mio. Tonnen dieses Ziels erreicht werden sollen.

Für den Aufbau einer nachhaltigen Wirtschaft und Infrastruktur in Afrika wird erhebliches Kapital erforderlich sein. Welche Rolle spielen dabei Finanzinstitute und wie reagieren die Finanzmärkte auf den Bedarf an nachhaltigen Finanzierungen in Afrika?

KH: Natürlich sind Investitionen erforderlich und Finanzinstitute werden bei der Bereitstellung dieser Mittel eine Schlüsselrolle spielen. Schätzungen der Afrikanischen Entwicklungsbank (AfDB) zufolge wird der Kontinent bis 2025 allein für die Entwicklung der Infrastruktur jährlich 170 Mrd. US-Dollar benötigen.

In Afrika gibt es allerdings bestimmte systembedingte Finanzierungshindernisse, die es zu beachten gilt. Es fallen erhebliche Vorlauf- und Transaktionskosten an und je nach Standort besteht ein gewisses Projekt- oder Länderrisiko. Tatsächlich flossen nur 2 % der 2,8 Bio. US-Dollar, die zwischen 2000 und 2020 in erneuerbare Energien investiert wurden, in afrikanische Länder. 7

Die Rolle der Finanzinstitute besteht darin, Unternehmen durch die Bereitstellung von Finanzierungsmöglichkeiten bei der Bewältigung der sich bietenden Herausforderungen zu unterstützen, um so den Ländern bei der Erreichung ihrer Ziele zu helfen. Und da der Bedarf an nachhaltigen Finanzierungslösungen wächst, reagieren die Finanzmärkte entsprechend. Schätzungen zufolge hat sich die Emission ESG-bezogener Schuldtitel im Jahr 2021 auf 190 Mrd. US-Dollar mehr als verdreifacht. Der Anteil an ESG-Investitionen an der Auslandsfinanzierung von Schwellenländern beträgt inzwischen 18 % – und dieser Wert wird noch weiter steigen.

Wie wichtig wird die Zusammenarbeit zwischen Banken und multilateralen Entwicklungsbanken sein, um die Finanzierungslücke auf dem afrikanischen Kontinent zu schließen und grüne Investitionen zu fördern?

KH: Die Finanzierungslücke kann nur dann wirklich geschlossen werden, wenn Regierungen, Unternehmen, Finanzinstitute, Exportkreditagenturen und multilaterale Entwicklungsbanken zusammenarbeiten. Multilaterale Entwicklungsbanken können auf jeden Fall innovative Mechanismen zur Mobilisierung privater Investitionen einsetzen und dabei Energieeffizienz und Nachhaltigkeit in den von ihnen finanzierten Projekten Vorrang einräumen.

Die AfDB hat beispielsweise im Rahmen ihres Green Bond Framework Mittel für Projekte in ganz Afrika aufgebracht. Diese Projekte sollen grünes Wachstum durch verschiedene Ansätze fördern, darunter die Stärkung der Widerstandsfähigkeit gegenüber Klimaschocks, die Bereitstellung nachhaltiger Infrastrukturen, die Schaffung von Ökosystemleistungen und die effiziente und nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen. Die AfDB hat die ägyptische Kläranlage Gabal El Asfar finanziert und damit die öffentliche Gesundheit und den Umweltschutz für die 8 Millionen Einwohner von Kairo verbessert.

Unlängst hat die Afreximbank gemeinsam mit der China Development Bank eine Darlehensvereinbarung über 400 Mio. US-Dollar zur Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen in ganz Afrika unterzeichnet. Ebenfalls vor Kurzem hat sich die Trade and Development Bank (TDB) ein Darlehen zur Handelsfinanzierung der Europäischen Investitionsbank (EIB) in Höhe von 200 Mio. US-Dollar zur Finanzierung privatwirtschaftlicher Investitionen gesichert. Diese Mittel fließen an Firmen aus verschiedenen Branchen wie den Agrarsektor und das verarbeitende Gewerbe, die gleichermaßen von den jüngsten Störungen der globalen Lieferketten betroffen sind. Die TDB hat darüber hinaus eine Absichtserklärung mit dem finnischen Entwicklungsfinanzierer Finnfund unterzeichnet. Damit sollen Investitionen in Bereiche gefördert werden, die zur Erreichung der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG) beitragen.

Welchen Beitrag leisten die Exportkreditagenturen (ECA) zu ESG-Projekten auf dem gesamten Kontinent?

KH: Exportkreditagenturen (engl. Export Credit Agencies, ECAs) sind für Banken, die Investitionen in Afrika finanzieren wollen, sehr wichtige Partner. Die Struktur von ECA-Finanzierungen eignet sich gut für Infrastrukturprojekte und wird daher den Bedürfnissen vieler afrikanischer Länder gerecht. Da Infrastrukturvorhaben in der Region üblicherweise mit hohen Risiken verbunden sind, ist eine ECA-Finanzierung oft die einzige Option für Projekte mit langen Laufzeiten. Und angesichts der allgemein steigenden Finanzierungskosten werden durch Exportkreditversicherungen gedeckte Finanzierungen nicht nur wettbewerbsfähiger, sondern entwickeln sich rasch zu einer strategischen Notwendigkeit.

Wir beobachten zudem immer mehr Kooperationen zwischen Exportkreditagenturen und Finanzinstituten. Im Rahmen dieser Partnerschaften stellt die Agentur der finanzierenden Bank mittels Exportkreditgarantien hochwertige Sicherheiten bereit. So entstehen kosteneffiziente langfristige Finanzierungen, von denen viele Beteiligte profitieren.

Bei einem großen Projekt für erneuerbare Energien in Angola hat die Commerzbank beispielsweise gemeinsam mit der deutschen Exportkreditagentur Euler Hermes die dortige Regierung bei ihrem Elektrifizierungsprogramm unterstützt. Ein weiteres Beispiel: Im Mai 2023 war die Commerzbank Lead Arranger für ein Darlehen an das Finanzministerium der Elfenbeinküste in Höhe von 178 Mio. Euro, das von schweizerischen und niederländischen Exportkreditagenturen abgesichert wurde. Dieses Darlehen ist für den Bau von Wasserversorgungssystemen in ländlichen Gebieten bestimmt 8.

Es gibt sie – die Chancen für nachhaltigen Wohlstand in Afrika, und innovative und effiziente Investitionen werden entscheidend sein, um sie zu nutzen. Ich bin gespannt, was die Zukunft für den Kontinent bereithält.