Neuausrichtung des Energiemarkts
Erneuerbare Energien und neue Partnerschaften treiben die Entwicklung voran
Während die globale Energiekrise in den weltweiten Handelskorridoren für tiefgreifende Veränderungen sorgt, zeichnet sich ab, dass die Schwellenländer bei der Gestaltung der Zukunft der erneuerbaren Energien eine wichtige Rolle spielen werden. Dr. Fabian Schlüter, Head of Client Coverage und Christian Toben, Head of Financial Institutions, gehen in diesem Artikel auf aktuelle Entwicklungen im Bereich grüner Energien ein und zeigen auf, wie wichtig eine robuste Infrastruktur und Investitionen in diesen Regionen für eine verlässliche Versorgung durch erneuerbare Energien sind.
Der Energiemarkt durchlebt eine radikale Umwälzung. In der Pandemie traten in den komplexen Lieferketten Schwächen zutage, die gut dokumentierte Projektverzögerungen nach sich zogen, und noch bevor der Sektor sich auch nur im Ansatz erholen konnte, sah er sich schon mit den Auswirkungen des Ukraine-Konflikts auf traditionelle Lieferketten und Handelsrouten für Energie konfrontiert. Die Sorge um die Energiesicherheit in vielen Ländern weltweit hat den Ruf nach einer stärkeren Diversifizierung der Energielieferketten noch dringlicher gemacht.
Aufgrund der internationalen Priorisierung der Nachhaltigkeitswende wird dabei nicht nur auf den geografischen Standort geachtet, sondern auch auf die Art der Energie, die produziert wird. Die Schlüsselrolle von erneuerbaren Energien für die Dekarbonisierung macht den regenerativen Sektor weltweit für Investitionen äußerst attraktiv. Durch ehrgeizige Ziele vonseiten der Politik wird dieser Trend noch verstärkt. So soll der Anteil erneuerbarer Energiequellen am Energieverbrauch in der Europäischen Union bis 2030 auf 42,5 Prozent steigen und die einzelnen Mitgliedsstaaten sollen sich um eine Steigerung des Anteils auf 45 Prozent bemühen.
Der Ausbau von Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen stellt zwar eine wichtige Komponente dar, wird aber nicht ausreichen, um diese ambitionierten Ziele zu erreichen. Für die Implementierung eines leistungsstarken und nachhaltigen Energiesystems werden technische Lösungen benötigt, mit denen sich die Schwankungen in der Stromerzeugung, wie sie bei erneuerbaren Energien auftreten, ausgleichen lassen: intelligente Stromnetze, Speichersysteme etc. Nur wenn auch für solche Hilfstechnologien Finanzierungen bereitstehen, kann die Energiewende glücken.
Handelskorridore im Wandel und das große Potenzial der Schwellenländer für die Energieversorgung
Noch lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, inwieweit und wohin sich Handelskorridore durch Energiekrise und -wende verlagern werden. Klar ist jedoch, dass Nordafrika, der Nahe Osten und der asiatisch-pazifische Raum eine wichtige Rolle spielen werden. Das Potenzial an erneuerbaren Energiequellen ist in diesen Regionen so groß, dass sie auch für Europa und seinen sich wandelnden Energiebedarf Lösungen bieten können. Die Commerzbank sieht diese Regionen insbesondere im Hinblick auf die Produktion von grünem Wasserstoff als wertvolle, aufstrebende Energiezentren und eröffnet deshalb eine Repräsentanz in Marokko sowie einen Project Finance Desk in Singapur.
Während sich verschiedene asiatische Länder wie Japan, Südkorea, Taiwan und Vietnam für den Ausbau von Offshore-Windparks ehrgeizige Ziele gesetzt haben, will Australien zu einem der führenden Lieferanten von grünem Wasserstoff aufsteigen.
In Afrika könnte sich neben den stärker industrialisierten Ländern des Nordens auch der Westen des Kontinents als Energielieferant positionieren. Ein Beispiel ist Nigeria, einer der größten Ölproduzenten der Welt und einer der größten Gasexporteure Afrikas. Die nigerianische Politik zeigt sich um Diversifizierung bemüht und avisiert Einnahmen aus dem Geschäft mit fossilen Brennstoffen in erneuerbare Energien samt der entsprechenden Infrastruktur zu investieren. In Namibia plant ein Konsortium unter der Beteiligung des deutschen Entwicklers Enertrag Windparks und Photovoltaik-Anlagen mit einer installierten Kapazität von fünf Gigawatt, mit denen dann Elektrolyseure mit einer Kapazität von drei Gigawatt zur Produktion von grünem Wasserstoff betrieben werden können. Auch in Angola und im Senegal wurden jüngst große Solarparks in Betrieb genommen. Solche Projekte zeigen, dass die Länder bereit sind, ihren Beitrag zu der globalen Energiewende zu leisten, auch wenn wie im Folgenden gezeigt, in vielen dieser Projekte die Unterstützung der Industrieländer notwendig sein wird.
Infrastruktur und Investitionen: Hürden auf dem Weg zu den erneuerbaren Energien
Während man bereits in vielen Märkten die Chancen, die sich aus den reichen Energieressourcen ergeben, im Blick hat, gilt es auch noch, die Herausforderungen anzugehen, die mit dem Transport der Energie auf die internationalen Märkte verbunden sind. Noch kommt es in den neu entstehenden Energiehandelszentren zu Engpässen, denn die Infrastruktur ist begrenzt und die Bereitschaft internationaler Geldgeber, entsprechende Investitionen zu tätigen, gering.
Für Projektfinanzierungen braucht es erhebliche Infrastrukturinvestitionen und langfristig stabile politische Rahmenbedingungen. Die Tatsache, dass es in Nordafrika keine etablierten Projektfinanzierungsmärkte gibt, erschwert ein Engagement aus Sicht kommerzieller Finanzierer weiter. Zudem sind diese Märkte mit den stark regulierten Energiemärkten Europas oder Nordamerikas, wo auch die Finanzierungsstrukturen klar geregelt sind, kaum vergleichbar. So wollen wir beispielsweise mit Unterstützung unserer Repräsentanz in Marokko prüfen, ob westliche Geschäftsbanken, die sich derzeit in diesen Märkten bietenden Geschäftschancen nutzen können.
Zur Risikosteuerung speziell bei neuen Technologien ist es wichtig, dass Exportkreditagenturen (engl. Export Credit Agencies, ECA) und Kreditversicherer an Bord geholt werden. In Zusammenarbeit mit Banken übernehmen ECA einen Teil des Risikos, sodass Infrastrukturinvestitionen attraktiver werden und internationales Kapital effizient eingesetzt werden kann. Projekte in Schwellenländern lassen sich häufig zu 95 Prozent mit Exportkreditgarantien absichern; bei ausgewählten strategischen Projekten ist sogar eine höhere Deckung möglich. Durch einen solchen partnerschaftlichen Ansatz können die Geschäftsrisiken von Projekten gesenkt und der Ausbau des Sektors für erneuerbare Energien unterstützt werden.
So sind bei Projekten mit grünem Wasserstoff noch Fragen offen, darunter die nach der Skalierung von Elektrolyseuren. Auch die langfristige Machbarkeit und die Kosten solcher Projekte müssen weiter ermittelt und möglicherweise verstärkt regulatorisch unterstützt werden. Die Produktion von grünem Wasserstoff in industriellen Größenordnungen ist noch Neuland. Es fehlt an Wissen und eine einheitliche Bewertung des Risikoprofils hat sich noch nicht herauskristallisiert.
Trotz zahlreicher Herausforderungen hat der Sektor der erneuerbaren Energien insbesondere bei aufstrebenden Technologien gezeigt, dass er sich schnell und erfolgreich entwickeln kann. Das gilt auch für die Batterietechnologie, die in den letzten Jahren deutlich Fahrt aufgenommen hat und aus mehreren Projekten rund um regenerative Energien nicht mehr wegzudenken ist. Die Commerzbank hat bereits Anlagenkombinationen – Wind- und Solarparks mit eigenen Batteriespeichern – finanziert und auch eine separate Speicheranlage in den USA.
Um das Potenzial, das in den erneuerbaren Energien steckt, heben zu können, muss sich viel tun: von mehr Flächen und robusten Lieferketten bis zu Abnahmeverträgen und kürzeren Genehmigungszeiten. Doch während an diesen Fronten an Verbesserungen gearbeitet wird, darf die Entwicklung der regenerativen Energien selbst nicht stillstehen. Deshalb steigt die Nachfrage nach flexiblen Finanzierungslösungen, die an Banken herangetragen wird. Besonders interessant sind in dieser Situation Brückenfinanzierungen, die mit kürzeren Laufzeiten und weniger hohen Hürden punkten können. So ist es den Kreditnehmern möglich, Projekte voranzutreiben, noch bevor alle Voraussetzungen für eine langfristige Finanzierung erfüllt sind. Ein weiteres Beispiel sind Portfoliofinanzierungen, bei denen mehrere Anlagen mit einer Fazilität abgedeckt werden oder auch Kreditzusagen für Projektpipelines aufgenommen werden können. Sobald dann der Spatenstich für eine Anlage erfolgen kann, werden die Mittel freigegeben. Dadurch, dass selbst in Zeiten großer Unsicherheit und tiefgreifenden Wandels Finanzierungen ausreichen, kommt Banken in diesem Kontext eine besondere Bedeutung zu.
Herausforderungen eines dynamischen Regulierungsumfelds: das US-Gesetz zur Inflationsbekämpfung
Nicht nur Infrastruktur und Finanzierung, auch die äußerst dynamische Regulatorik mit immer neuen Vorschriften können Unternehmen aus dem Energiesektor vor strategische Herausforderungen stellen. So könnte europäischen Unternehmen das US-Gesetz zur Inflationsbekämpfung (Inflation Reduction Act) über kurz oder lang zu schaffen machen, denn im Kern handelt es sich um ein massives Subventionsprogramm, mit dem Firmen mit Sitz in den USA durch steuerliche Regelungen begünstigt werden. In der Folge haben zahlreiche Industrieunternehmen, auch aus dem Sektor der erneuerbaren Energien (Batterietechnologie, Komponentenfertigung etc.), ihre Strategie angepasst und investieren zunehmend nicht in Deutschland oder Europa, sondern in den USA. Für die europäischen Regulierungsbehörden, die sich um robuste Lieferketten für erneuerbare Energien bemühen, ist diese Entwicklung beunruhigend.
Gleichzeitig üben Märkte wie China auf der Herstellerseite Druck aus und stellen dadurch Europa als attraktiven Markt für den Bezug von Technologie im Bereich der grünen Energie infrage bzw. entwickeln sich zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten. Themen wie eine marktfähige Finanzierung, gewinnen somit für Europäische Technologielieferanten immer mehr an Bedeutung.
Trotzdem bieten sich dem Sektor der erneuerbaren Energien hier in Europa zweifellos mannigfaltige Möglichkeiten. Doch das Tempo der Entwicklung des Sektors ist hoch und es gilt, am Ball zu bleiben. Mit einem weltweiten Netzwerk an Repräsentanzen, das uns mit Echtzeitinformationen zu Entwicklungen in Politik und Wirtschaft versorgt, stellen wir sicher, dass unser Wissen immer auf dem neuesten Stand ist. Nur so können wir rechtzeitig auf Veränderungen im rechtlichen und politischen Umfeld reagieren.
Eine wachsende globale Nachfrage ist zu bedienen
Im Zuge der Energiewende muss auch bedacht werden, dass nicht nur die Energienachfrage von heute bedient werden will. Das rasche Wachstum der globalen Mittelschicht – zu dem auch ESG-Initiativen beigetragen haben – sowie das prognostizierte Wachstum der Weltbevölkerung um geschätzte 25 Prozent auf 9,7 Milliarden Menschen bis 2050 dürften den Energiebedarf förmlich explodieren lassen. Die Stromerzeugungskapazitäten müssen global also deutlich ausgebaut und die entsprechende Infrastruktur sicher, robust und effizient gestaltet werden – und zwar schon heute, damit auch der stark steigende Energiebedarf von morgen gedeckt werden kann.
Heute sind viele aufstrebende Volkswirtschaften noch von Brennstoffimporten abhängig, doch mit grüner Energie können sie nicht nur einen großen Schritt in Richtung Autarkie und Unabhängigkeit tun, sondern auch ihr Wirtschaftswachstum stärken. Ein gutes Beispiel ist hier Lateinamerika, das sich zu einem Zentrum für grüne Energie entwickelt, wie wir berichteten. Mehr als 25 Prozent des dortigen Primärenergiebedarfs wird aus erneuerbaren Quellen in der Region selbst gedeckt. Das ist doppelt so viel wie im globalen Durchschnitt. Trotzdem kann auch Lateinamerika noch mehr aus seinen regenerativen Energiequellen machen – man denke hier nur an mögliche Exporte, z. B. in die USA. Alternativ könnte überschüssiger Strom auch in die Produktion von grünem Wasserstoff fließen, der sich bedingt leichter exportieren lässt, sodass auch entlegenere Regionen als Absatzmärkte infrage kämen.
Obwohl die Energiemärkte also noch um ihr neues Gleichgewicht ringen, sind wir überzeugt, dass der Weg ganz klar in Richtung einer Energiewende führt, in der erneuerbare Energien und die entsprechenden Hilfstechnologien entscheidend sind. Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern auch für Europa insgesamt und für alle Märkte, in denen wir weltweit tätig sind.
Der Sektor der erneuerbaren Energien gewinnt an Dynamik. Gleichzeitig verändern sich die Handelskorridore und auch der Energiebedarf. Daraus entstehen sowohl Möglichkeiten als auch Herausforderungen, die es zu berücksichtigen gilt. Mit strategischen Partnerschaften, technologischem Fortschritt und einem zukunftsgerichteten Ansatz können die Schwellenländer eine neue Ära mit nachhaltigen Energielösungen für die Welt einläuten.